Die neurologische Magie hinter der Spiegeltherapie.
Spiegelneuronen in Aktion – warum das Gehirn Bewegung versteht
Wir bewegen unsere Hand – und unser Gehirn feuert.
Wir sehen jemanden, der die gleiche Bewegung ausführt – und unser Gehirn feuert wieder.
Dieser verblüffende Mechanismus, entdeckt in den 1990ern bei Affen, ist der Schlüssel zur Spiegeltherapie: Spiegelneuronen.
Was sind Spiegelneuronen?
Spiegelneuronen sind Nervenzellen, die sowohl beim Ausführen als auch beim Beobachten einer Handlung aktiv werden.
Wenn du siehst, wie jemand einen Ball aufhebt, feuern deine motorischen Areale, als würdest du selbst zugreifen.
Das Gehirn „simuliert“ also Bewegung, um sie zu verstehen – oder, therapeutisch genutzt, um sie wiederzuerlernen.
Dieser Mechanismus spielt eine zentrale Rolle bei Empathie, Lernen, Imitation – und eben bei der Spiegeltherapie.
Vom Zuschauen zum Wiederlernen
Nach einem Schlaganfall oder bei chronischem Schmerz sind manche Verbindungen im Gehirn gestört.
Bewegungsbefehle kommen nicht mehr an oder lösen Schmerzsignale aus, statt Bewegung.
Wenn Betroffene nun im Spiegel eine Bewegung sehen, reagieren ihre Spiegelneuronen, als führten sie diese Bewegung selbst aus.
Das visuelle Signal wird zu einem motorischen Reiz – der das Gehirn „aufweckt“.
In der Studie von Rothgangel et al. (2011) zeigte sich: Schon nach wenigen Tagen Spiegeltraining konnten bei Patient:innen mit Hemiparese motorische Aktivitätsmuster auf der betroffenen Seite nachgewiesen werden.
Neuroplastizität in Echtzeit
Das Gehirn ist kein fest verdrahtetes System – es ist eine Baustelle mit offenen Plänen.
Jede Beobachtung, jede Bewegung verändert Verbindungen zwischen Nervenzellen.
Diese Fähigkeit, neue synaptische Bahnen zu bilden, nennt man Neuroplastizität.
Bei der Spiegeltherapie beobachtet man, dass durch das wiederholte Sehen und Denken an Bewegung neue Netzwerke entstehen.
In bildgebenden Verfahren (fMRI, EEG) zeigt sich:
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Aktivierung im präfrontalen Kortex (Planung von Bewegung)
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Synchronisation im prämotorischen Kortex (Vorbereitung von Handlung)
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Reaktivierung im somatosensorischen Areal (Körperwahrnehmung)
Das ist gewissermaßen eine kognitive Physiotherapie – Training über Wahrnehmung.
Schmerz und Bewegung – zwei Seiten derselben Karte
Interessanterweise werden Spiegelneuronen auch in Arealen aktiv, die mit Schmerzverarbeitung verbunden sind.
Das erklärt, warum viele Patient:innen mit Phantomschmerz oder CRPS nach Spiegeltraining weniger Schmerzen verspüren:
Das Gehirn bekommt ein kohärentes Signal – „Ich bewege mich, alles stimmt“ – und reduziert dadurch die fehlerhaften Schmerzimpulse.
Studien von Owen-Smith & Welchman (2024) und Limakatso et al. (2025) zeigen, dass diese neuronale Neusortierung in der Regel innerhalb von zwei bis drei Wochen beginnt, wenn täglich trainiert wird.
Praxisbeispiel
Eine Patientin mit rechtsseitiger Hemiparese nach Schlaganfall beschreibt es so:
„Ich sah im Spiegel, wie meine Hand sich öffnete – irgendwann fühlte es sich an, als würde sie es wirklich tun.“
Dieses Gefühl täuscht nicht. Im EEG sieht man während solcher Momente eine Zunahme der Alpha-Rhythmus-Aktivität, ein Hinweis darauf, dass motorische und sensorische Netzwerke wieder miteinander kommunizieren.
Der wissenschaftliche Stand
Die Cochrane-Analyse (Thieme et al., 2018) fasst über 50 Studien zusammen und kommt zu dem Schluss:
„Spiegeltherapie kann die motorische Leistung verbessern, insbesondere bei Schlaganfallpatienten in der Frühphase der Rehabilitation.“
Ergänzend zeigen aktuelle Arbeiten (He et al., 2022; Jannah et al., 2018), dass diese neuronale Reorganisation nicht nur Bewegungen, sondern auch Funktionen des Alltags positiv beeinflusst – vom Greifen bis zur Sprache.
Grenzen der Erkenntnis
Spiegelneuronen sind kein Zauberstab.
Sie erklären viele Effekte der Spiegeltherapie, aber nicht alle.
Emotion, Aufmerksamkeit und Motivation spielen ebenfalls eine Rolle.
Die Wirksamkeit hängt davon ab, wie bewusst und regelmäßig die Übungen ausgeführt werden – reine Routine reicht nicht, es braucht mentale Präsenz.
Fazit
Spiegeltherapie funktioniert, weil unser Gehirn sich selbst zusehen kann.
Spiegelneuronen bilden die Brücke zwischen Wahrnehmung und Handlung, zwischen Vorstellung und Bewegung.
Sie machen sichtbar, was die Forschung längst weiß:
Heilung beginnt nicht im Muskel, sondern im Geist, der Bewegung denkt.
Quellen (Auszug)
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Rothgangel A.S. et al. (2011): The Clinical Aspects of Mirror Therapy in Rehabilitation
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Thieme H. et al. (2018): Cochrane Review – Mirror Therapy for Improving Movement after Stroke
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Owen-Smith S., Welchman S-A. (2024): An Invited Review of Mirror Therapy for Phantom Limb Pain
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Limakatso K., McGowan E., Ortiz-Catalan M. (2025): Evaluating Mirror Therapy Protocols in Phantom Limb Pain Clinical Trials
